Viktor ist fort und es tut weh

Viktor mit seinem Pokal beim Turnier in Sierndorf.
Viktor mit seinem Pokal beim Turnier in Sierndorf.

 

Es ist Krieg in der Ukraine. Daheim sehen wir im Fernseher zerstörte Städte und das Leid der Menschen. Viele Ukrainer sind mit Kriegsbeginn geflohen. Das hat mit Sierndorf nichts zu tun. Es passiert weit weg.

 

Doch vor einem Jahr steht plötzlich der zwölfjährige Viktor beim Tischtennistraining vor uns. Seine Mama im Schlepptau. Die beiden kommen aus Odessa in der Ukraine. Dort wo Drohnen ihre Angriffe fliegen und Menschen sterben. Sie wohnen jetzt in Senning. Viktor liebt es Tischtennis zu spielen und er lässt kein Training im Verein aus. Wenn er beim Training gerade nicht spielen kann, weil Pause ist oder das Training noch nicht begonnen hat, steht er alleine an der Platte und übt Aufschläge. Neue Schläge saugt er wie ein Schwamm auf und übt sie unentwegt wie beim Schattenboxen mit dem Schläger in der Hand. In Fachkreisen wird dieses Verhalten als sehr talentiert bezeichnet. Viktor ist menschlich und sportlich ein großer Gewinn für den Verein. Er hat sich sofort integriert. Lernte schnell unsere Sprache und hilft ohne gefragt zu werden, wo er nur kann.

 

Ein Jahr vergeht und Viktor möchte im September in die Meisterschaft bei den Herren einsteigen, was wir großartig finden. Doch Anfang September kommen Viktor und seine Mama zum ersten Training der neuen Saison und erklären mir, dass sie wieder in die Ukraine zurück müssen. Das Auto und die Wohnung in Senning sind zu teuer geworden. Sie können es sich nicht mehr leisten. Viktor muss zurück in das Kriegsgebiet und wird künftig in Odessa im Keller zur Schule gehen. Sicherheitshalber, wie seine Mutter sagt. Viktors älterer Bruder ist schon in Odessa. Rund herum stehen andere Kinder und es ist laut in der Turnhalle. Wirklich verarbeiten kann man diese Informationen kaum. Der Krieg ist doch so weit weg und die Tragweite dieses Vorhabens ist nicht wirklich greifbar.

 

Die Tage vergehen und am 13. September ist wieder Nachwuchstraining. Die Halle füllt sich mit Kindern, darunter ein neues Gesicht. Das Kind kommt aus der Ukraine und es spricht kaum Deutsch. Ich denke mir, wenn Viktor heute kommt, kann er bestimmt helfen. Aber Viktor kommt nicht. Seine Klassenkollegen aus Göllersdorf, die mittlerweile ebenfalls eifrig beim Training sind, sagen, Viktor ist wieder in der Ukraine. Die Zeit, um sich von Viktor zu verabschieden blieb aus. Vermissen werden wir Viktor sehr. Dass Viktor zurückkommt, denke ich nicht. Es fühlt sich endgültig an.

 

Der Krieg muss aufhören. Es ist eine Schande, wenn Kinder, wie unser Viktor, unter Lebensgefahr zur Schule gehen müssen. Das kann niemand auf dieser Welt wollen. Die größte Freude für mich wäre es, wenn Viktor in Odessa in seinem Tischtennisverein in Frieden spielen darf und er dabei an seine vielen Freunde in Sierndorf denkt.

 

Albert Wilder